Was ist ein optimaler Testosteronwert und wie kann man ihn am besten bestimmen? Neben vielen verschiedenen Messverfahren sind auch die Referenzbereiche stets umstritten. In unserem vierten Testosteronbeitrag erklären wir euch die gängigen Methoden der Hormonbestimmung und wie Messwerte zu verstehen sind.
Fabian wirkte sichtlich verwirrt.
„Da stehen keinerlei Details, nicht mal um welchen Wert es sich eigentlich handelt.“
Ungläubig wendete er mehrmals das einzelne Blatt, worauf das Ergebnis seines Testosteron Speicheltests stand. Er hatte den Test bei einem führenden Labortest-Versandhandel bestellt. Ich griff über den Tisch und nahm ihm das Blatt aus der Hand. Tatsächlich. Null. Keine Info, weder über den Parameter, noch das Ergebnis. Ernüchternd. Nur, dass es sich um Testosteron handelt, aber nicht mal welches Testosteron.
„Und was soll ich damit jetzt anfangen? Max, könnt ihr mir das interpretieren?“
Klar können wir das, deswegen gibt es doch Biotrakr!
Olala, zu früh gefreut. Nachdem ich zahlreiche Webseiten und Studien zu gängigen Referenzbereichen und Messverfahren durchforstet hatte, war das Ergebnis eher ernüchternd: Viele sich widersprechende Informationen und allein für freies Testosteron 8(!) verschiedene Normalbereiche.
Eine Person, ein Parameter, drei Befunde
Labor 1
Labor 2
Labor 3
Warum sind klare Aussagen zur Testosteronmessung so schwer zu finden?
Ein Problem ist wohl die immer noch ausgebliebene Standardisierung von Messverfahren zur Hormonbestimmung. Unterschiedliche Labore nutzen unterschiedliche Messverfahren und bestimmen dazu noch ihre eigenen Referenzbereiche. Das macht eine übergreifende Aussagekraft eines Tests so gut wie unmöglich. Ein Wert könnte bei einem Labor im Normalbereich liegen und beim nächsten wieder nicht.
Um dieser Verwirrung ein Ende zu setzen, hat sich unser Mediziner Michael in das Thema vertieft. Nach dem Lesen dieses Beitrags sollte euch einiges klarer sein, was die Messung und Interpretation des Testosteronwertes betrifft. Für unsere neuen Leser empfehle ich ebenso die ersten drei Beiträge unserer Testosteronserie: Becoming Wolverine, physiologische Grundlagen und Wirkung von Testosteron.
Der folgende Abschnitt ist aus der elektronischen Feder unseres exzellenten medizinischen Beraters Michael Gröne.
Testosteron ist eigentlich nur eine Vorstufe
Testosteron ist das männliche Geschlechtshormon schlechthin. Es wird beim Mann hauptsächlich in den Hoden produziert und ins Blut abgegeben, wo es zu den Orten seiner Wirkungsentfaltung transportiert wird (zum Beispiel Haut, Muskulatur). Dabei dient Testosteron meist „nur“ als Vorstufe für das eigentlich wirksame Androgen, z.B. Dihydrotestosteron (DHT).
Testosteron sollte immer zur selben Uhrzeit gemessen werden
Das Gesamttestosteron im Serum korreliert am besten mit dem subjektiven Befinden und der „Funktion“ der Körperorgane. Sein Maximum wird normalerweise zwischen 07:00 und 10:00 Uhr morgens erreicht – vielleicht der Grund, warum viele Männer angeben, morgens „Bäume ausreißen“ zu können. Im Tagesverlauf fällt der Wert stetig weiter ab, bevor in der Nacht die Regenerationsphase einsetzt. Diese Tagesrhythmik macht standardisierte Zeiten für die Probenabgabe erforderlich, um vergleichbare Werte zu erhalten. Bei Frauen, die natürlich auch Testosteron haben und brauchen, ist diese Tagesrhythmik übrigens weniger stark ausgeprägt und die Konzentration insgesamt deutlich niedriger.
Das freie Testosteron wird normalerweise errechnet
Die meisten Labore messen Gesamttestosteron im Blutserum direkt mittels verschiedener Testverfahren, genannt Essays (1). Bei sehr geringen Konzentrationen, wie sie bei Kindern oder Frauen vorkommen, sind diese Methoden teilweise ungenau und erfordern weitere Aufbereitung der Proben oder eine aufwendige, aber sehr elegante und genaue Messung mittels Massenspektrometrie. Da Testosteron im Serum sehr stabil ist, kann die Blutprobe vielfältig bearbeitet und problemlos eingefroren und wieder aufgetaut werden.
Interessant ist, dass nur 2% des gemessenen Gesamttestosterons im Serum frei verfügbar und damit wirksam sind. Die übrigen ≈ 98% sind gebunden an die Eiweiße SHBG (sexual hormone binding globulin) und Albumin. Daher wird das freie Testosteron in der Regel mittels einer Formel errechnet, nachdem Gesamttestosteron, SHBG und Albumin gemessen wurden (2).
Grenzwerte sind immer noch wenig aussagekräftig
Die Empfehlungen zum Testosteronwert sind leider sehr heterogen und bieten hohes Verwirrungspotential. In Deutschland werden die Bereiche 12 – 40 nmol/L im Serum als normal, 8 – 12 nmol/L als Graubereich und Werte < 8 nmol/L als zu niedrig und damit therapiebedürftig angesehen. In anderen Ländern gelten andere Grenzwerte und dementsprechend andere Empfehlungen zur möglichen Therapie. Meist sind die Werte nicht unmittelbar bindend, sondern werden als Richtwerte individuell interpretiert. Auch gibt es keine altersspezifischen Grenzwerte, sodass Ärzte und Wissenschaftler uneins sind, ob und in welcher Form der weit verbreitete Altershypogonadismus (≈ Abfall des Testosterons mit dem Alter) therapiert werden sollte (3, 4).
Verwirrung stiften oftmals auch Einheiten und Zahlenwerte. Die international gebräuchliche Einheit ist nmol/L. Aber weiterhin häufig verwendet wird die konventionelle Angabe in μg/L. Zur Umrechnung gilt hier die Formel [μg/L x 3,47 = nmol/L]. Um hier die Verwirrung zu vergrößern: teilweise findet ihr auch die Einheit ng/dL. Diese lässt sich mittels der Formel [μg/L x 100 = ng/dL] umrechnen. Ihr seht, der Testosteronwert ist keine einfache Zahl, es gilt, ganz genau hinzusehen.
Zudem eicht jedes Labor seine Geräte selbstständig und definiert daraufhin eigene Grenzwerte, da etwa Probenaufbereitung, Zwischenschritte und Messmethode nicht überall identisch ablaufen (können). Auch die Umgebungstemperatur kann darauf Einfluss nehmen.
Freies Testosteron kann auch im Speichel gemessen werden
Im Speichel gelten mit 200 – 500 pmol/L andere Normwerte, welche sehr gut mit den >>errechneten<< Werten für fT im Serum korrelieren und eine einfach anwendbare Möglichkeit bieten, ein orientierendes Screening durchzuführen oder eine Therapie im Verlauf zu überwachen.
Besteht die typische Symptomatik und der unmittelbare Verdacht auf einen Hypogonadismus (≈ Testosteronmangel), muss weiter nach Art und Ursache gefahndet werden. Dazu werden weitere Parameter bestimmt. Unter anderem wird das Freie Testosteron errechnet. Werte > 225pmol/L gelten als normal, Werte <225 pmol/L als zu niedrig, sodass die Diagnostik weiter geht.
Für eine aussagekräftige Interpretation sind weitere Werte sinnvoll
Unerlässlich sind die Gonadotropine LH und FSH, welche gleichzeitig in der Hypophyse (= Hirnanhangsdrüse) ausgeschüttet werden. LH dient der Stimulation der Testosteronproduktion im Hoden, FSH der Stimulation der Spermienbildung. Hiermit lässt sich abschätzen, ob eine mögliche Störung eher im Hirn oder im Zielorgan (z.B. Hoden) vorliegt. Dann wird das Hormon Prolaktin bestimmt, welches mit der Ausschüttung von LH/FSH interagieren kann. Seltener wird die Bestimmung weiterer Androgene wie DHT, Androstendion oder Dehydroepiandrostendion veranlasst.*
Bei Verdacht einen Arzt oder Ernährungwissenschaftler fragen
Wichtig ist, sich bei bestehendem Verdacht auf einen Testosteronmangel vertrauensvoll an einen Arzt zu wenden, der sich mit dem Thema auskennt, um gezielte Diagnostik und Ursachenforschung zu veranlassen und daraus die bestmögliche Therapie abzuleiten. Ein gesunder Hormonhaushalt beugt möglichen Folgeerkrankungen eines etwaigen Testosteronmangels vor und steigert merklich das Wohlbefinden, die Vitalität und Lebensfreude.
Dieser Beitrag stammt von Michael Gröne, einem approbierten Arzt und Wissenschaftler aus Düsseldorf mit einer Leidenschaft für Prävention, Schlafverhalten, Ernährung und Sport. Michael berät Biotrakr in medizinischen und wissenschaftlichen Belangen und schreibt periodisch für den Biotrakr Blog. Wir freuen uns sehr, einen so belesenen und wissenschaftlichen Geist auf unserer Seite zu wissen.
*Auch die Aktivität der 5α-Reduktase, die Testosteron in DHT umwandelt, kann bestimmt werden. Hier bietet sich eine Möglichkeit die Testosteronwirkung an der Haut direkt zu beeinflussen, indem man etwa Männern mit extremem Haarausfall einen 5α-Reduktase-Hemmer verabreicht um die Wirkung des Testosterons in den Haarwurzeln zu reduzieren.
Quellen:
- Simoni M (2004) Methodology for measuring testosterone, DHT and SHBG in a clinical setting. In: Nieschlag E, Behre HM (eds) Testosterone Action, Deficiency, Substitution, (3rd ed) Cambridge University Press, Cambridge, UK, pp 641-664
- Vermeulen A, Verdonck L, Kaufman JM (1999) A critical evaluation of simple methods for the estimation of free testosterone in serum. J Clin Endocrinol Metab 84:3666-3672
- http://blog.endokrinologie.net/testosteron-therapie-herzinfarkt-schlaganfall-1273/
- http://blog.endokrinologie.net/testosteron-watch-list-fda-1297/